Das Geschenk
oder
Gut gemeint ist nicht gut getan

Meine Tante Hedwig, muss man wissen, ist nicht nur meine Patentante, sondern auch nicht unvermögend. So hat sie sich treu daran gehalten, mir zum Geburtstag Jahr für Jahr ein Geschenk zu machen. Dabei hat sich im Laufe der Zeit ein bestimmtes Ritual eingebürgert. Tante Hedwig erscheint regelmäßig etwa 4 Wochen vor meinem Geburtstag in unserer Familie und versucht auf unauffällige Weise - wie sie meint - das Gespräch darauf zu brin­gen, was ich gebrauchen könnte und welche Wünsche bei mir noch offen sind. Ich äußere mich dann völlig unbefangen - wie ich meine - was ich begehre. Und regelmäßig war dann an meinem Geburtstag das auf dem Gabentisch, was ich mir gewünscht hatte.

So schien es auch bei meinem letzten Geburtstag zu laufen. Tante Hedwig erschien wie üblich Mitte Juni, 4 Wochen vor meinem Geburtstag, stellte geschickte Fragen und mir gelang es - so hatte ich den Eindruck - besonders gut, der Tante meine Wünsche nahe zu bringen. 

Ich erzählte ihr, dass ich, aus Gesundheitsgründen, in meinem Arbeitszimmer so oft es die Witterung erlaubte, mit offenem Fenster arbeite. Dabei kam es immer wieder vor, dass ein 
Windstoß durchs Fenster wehte und meinen Papierstapel auf dem Schreibtisch nicht nur oft durchs ganze Zimmer verteilte, sondern manchmal sogar einige Blätter auf die Straße wirbelte. Ein unhaltbarer Zustand! Mit allem Möglichen hatte ich den Papierstapel schon beschwert, aber mein künstlerisches Empfinden konnte sich damit nicht zufrieden geben. 

Ich erklärte noch, dass ich in unserem einzigen Fachgeschäft für Bürobedarf in unserem Städtchen genau das Richtige für mein Arbeitszimmer entdeckt hatte: Einen Briefbeschwerer in Form eines Würfels, aus klarem, feinsten Kristallglas, Seitenlänge ca. 10 cm, die Würfelaugen matt hineingeschliffen. Ein feines Stück, nicht ganz billig, aber es würde hervorragend in die kühl-vornehme Atmosphäre meines Arbeitszimmers passen.

Ich ließ durchblicken, dass ich schon des öfteren in der Versuchung stand, das gute Stück zu erwerben. Tante Hedwig erklärte dazu, dass ab 4 Wochen vor einem besonderen Ereignis sich niemand mehr etwas kaufen dürfe.
Ich konnte meinen Geburtstag kaum erwarten. Tante Hedwig erschien an diesem Tag zur Kaffeetrinkzeit. In ihren Händen hielt sie eine kleines, quadratisches Päckchen, sorgsam mit hübschem Geschenkpapier umgeben und mit Goldband verschnürt und einen Blumenstrauß hatte sie auch dabei. Gute Tante Hedwig!
Nach den üblichen Geburtstagswünschen übergab sie mir das kleine Paket. "Lieber Alfred," erklärte sie, "hier ist dein Geburtstagsgeschenk. Ich denke, dass es etwas ist, was du dir schon lange gewünscht hast und dennoch eine Überraschung für dich ist."

"Davon bin ich überzeugt, Tante Hedwig."

Ich hatte nichts eiligeres zu tun, als das Päckchen auszupacken, aber das war nicht so ohne weiteres möglich. Tante Hedwig gehört zu den Personen, die nichts verschwenden. So duldete sie nicht, dass man das schöne Goldband einfach entzwei schnitt und das Geschenkpapier unachtsam zerknüllte. Nein, jeder Knoten des Bandes musst aufgebunden und das Papier akkurat zusammengelegt werden, bevor man das eigentliche Geschenk zu Gesicht bekam. Aber endlich war es soweit: vor mir stand eine kleines, quadratisches Kästchen aus weißer, glänzender Pappe. Auf dem Deckel war aufgedruckt: Ein Geschenk für Anspruchsvolle! Ich hob voller Spannung den Deckel des Kästchens hoch... und schaute mit großen Augen und offenen Mund auf den Inhalt und war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Tante Hedwig ver­stand meine Reaktion - glücklicherweise - wohl falsch. "Nun Alfred," sagte sie, "ist das nicht eine Überraschung? Was sagst du dazu?"

Ich hatte mich inzwischen etwas gefangen und stammelte "Ich bin sprachlos, Tante Hedwig," und das entsprach genau meinem inneren Empfinden. "Nun hol das gute Stück schon aus dem Karton," drängte Tante Hedwig. "Weißt du," fuhr sie fort, " du hattest dir zwar diesen Würfel als Briefbeschwerer gewünscht. Aber ihr Männer habt einfach kein Empfinden dafür, was zusammen passt. Dieses sachlich kühle Ding hätte dein Arbeitszimmer nur noch kälter gemacht." Und mit liebevollem Blick hob sie selbst das Geschenk aus dem Kästchen und stellt es auf den Tisch. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich überhaupt begriff, was da vor mir stand. 

Ja, tatsächlich, es war ein Briefbeschwerer in Form eines Frosches! Ein Frosch aus grasgrünem Glas, der sprungbereit dazusitzen schien, das Maul leicht geöffnet, mit großen, hervorstehenden Glupschaugen, die durch eine weiße Färbung mit schwarzen Pupillen noch besonders hervorgehoben waren, stand vor mir. Ich kann mich nicht erinnern, je einen Frosch mit weißen Augen gesehen zu haben. Wahrlich kein Kunstwerk.

Um meine Reaktion richtig zu verstehen, muss man wissen, dass für mich Frösche auf der gleichen Ebene rangieren wie Ratten und Mäuse. Ich traue mir zu, einem Löwen unerschrockener entgegenzutreten als diesen Gattungen der Tierwelt. Hinzu kam, dass das glänzende grüne Glas den Eindruck vermittelte, als sei das Ding wirklich so glitschig, wie ein lebendes Exemplar. Außerdem, so stellte ich später fest, hatten die Augen die unangenehme Eigenschaft, die man manchmal bei alten Porträts findet. Die Augen schauen einem immer an, ganz gleich, aus welcher Position man das Bild auch betrachtet, so auch bei diesem grünen Ungeheuer.

Tante Hedwig hatte sich offensichtlich mit meiner außergewöhnlichen Reaktion auf ihr Geschenk zufrieden gegeben. Mir war aber mein Geburtstag verleidet. Als Eva, meine Frau, mir mit einem lieben Lächeln als erstem ein Stück der Geburtstagtorte auf den Teller legte, sah ich das grüne Untier im Geiste neben meinem Teller sitzen und ich hatte Mühe, das Tortenstück zu verspeisen.

Als Tante Hedwig endlich gegangen war, stürzte ich ins Arbeitszimmer. Breit und behäbig stand die 'Kröte', wie ich bei mir das Unikum nannte, auf dem Tisch. Ich nahm es in die Hand und betrachtete es von allen Seiten. Auf der Unterseite entdeckte ich ein kleines ovales Schild aus Goldpapier mit dem Aufdruck: Ein Präsent aus der Boutique Stolte.

Mir war sofort klar, was mit dem guten Stück zu geschehen hatte. Ich zog die unterste Schublade auf der linken Seite meines Schreibtischs auf und platziere die 'Kröte' dort in die hintere rechte Ecke. Selbst wenn ich die Schublade aufzog, was selten geschah, blieb die hintere rechte Ecke meinem Blick verborgen. 

Ich bemühte mich, die ganze Angelegenheit so schnell wir möglich zu vergessen, was mir auch gut gelang, bis, ja bis zu einem bestimmten Tag im November. Es war gegen 22 Uhr, als Eva und ich uns ins Schlafzimmer begaben, da es Schlafenszeit war. Als ich noch einmal auf meine Armbanduhr schaute und das Datum erblickte, durchfuhr mich ein eisiger Schreck. "Eva," fragte ich erregt, "ist heute der 11, November?" "Allerdings mein teurer Gatte," antwortete sie in einem Anflug von Heiterkeit. Sie hatte meine Erregung nicht bemerkt. "Dann," fuhr ich fort, "ist Morgen also der 12, November?"

"Deine Kombinationsgabe ist verblüffend," antwortete Eva vergnügt. 

"Wenn das so ist, dann ist Morgen der Geburtstag von Benno!" Benno ist mein älterer Bruder, er ist drei Jahre älter als ich. Als Geschwister, meine Schwester Hildegard zählt noch dazu, hatten wir vereinbart, dass wir uns selbstverständlich am Geburtstag zum Kaffee besuchen und zwar ohne besondere Einladung und natürlich, das war ungeschriebenes Gesetz, mit einem angemessenem Geschenk.

Eva war nach meiner letzten Bemerkung ernster geworden und erklärte schließlich. "Gut, dass du es noch früh genug bemerkt hast, Alfred. Also werden wir morgen zum Kaffee bei Benno erscheinen." "Schön und gut, Evchen," und jetzt war es bei mir, den Überlegenen zu spielen, "hast du auch bedacht, dass heute Samstag, 22 Uhr ist , dem zu Folge morgen Sonntag ist, wo man, außer einem Blumenstrauß, nichts mehr kaufen kann. Und ohne Geschenk, das weißt du so gut wie ich, können wir bei Benno nicht aufkreuzen."

"Da hast du recht," entgegnete Eva und versank in kurzes Nachdenken. "Ich hab's," rief sie plötzlich. "Wenn wir nichts mehr kaufen können, müssen wir etwas schenken, das wir im Hause haben, das für Benno geeignet ist und" - hier lächelte sie schon wieder etwas spitzbübisch - "was wir auch gut entbehren können."

"Die Idee ist gut," gab ich zu, "aber was könnte das sein. Für ein männliches Geburtstagskind ist es ohnehin immer schwer, etwas Passendes zu finden. Erinnerst du dich noch wie wir im vorigen Jahr durch die Geschäfte gelaufen sind...? " Plötzlich stockte ich: " Jetzt hab ich es" rief ich triumphierend: "Die Kröte!"

Natürlich, das war für Benno genau das Richtige. Erstens hatte er sowieso keinen Geschmack. Zweitens hatte er sein Arbeitszimmer 'altdeutsch ' eingerichtet, wie er immer behauptete - meines Erachtens war es mehr alt als deutsch - und außerdem hatte er die Wände grün gestrichen. Die 'Kröte' würde hier genau hineinpassen. 

Obendrein bestand keine Gefahr, dass Tante Hedwig das gute Stück dort einmal sehen könnte. Sie hatte sich mit Benno, genauer gesagt mit seiner Frau Edeltraute, verkracht und sie sprachen seit Jahren nicht miteinander.
Gesagt, getan! Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, entnahm ich den Frosch aus der Schublade. Ich drehte ihn vorsichtig nach allen Seiten um zu sehen, ob er unbeschädigt sei, was glücklicherweise zutraf.

Dabei erblickte ich auch wieder das kleine ovale Schild aus Goldpapier mit der Aufschrift: Ein Präsent für Anspruchsvolle aus der Boutique Stolte. Nein, da stand doch jetzt 'Stölte'? Über dem "o" befanden sich jetzt zwei kleine, unregelmäßige Punkte, die da nicht hingehörten, denn mir war der Name des Geschäftes bekannt. Als ich die Sache näher untersuchte, fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit in der unteren Schublade etwas Tinte verschüttet hatte. Ein Rest davon musst wohl die beiden kleinen Punkte verursacht haben. Nun. das machte gar nichts. Eva verpackte das Geschenk wieder in neues Glanzpapier und umgab es diesmal mit einem roten Band. Pünktlich zum Kaffee erschienen wir bei Benno.

Seine Freude über unser Geschenk, so hatte ich den Eindruck, hielt sich in Grenzen. Benno wusste eben nicht, was zu ihm passt und was nicht. 

Geschmack hat er noch nie gehabt! Ich ging mit dem befriedigendem Gefühl nach Hause, das grüne Ding, wenn überhaupt, nur noch bei den seltenen Besuchen bei Benno sehen zu müssen. 

Aber es kam anders. Einige Wochen später besuchten wir meine Schwester Hildegard, beziehungsweise ihre Familie, Hildegard, ihren Mann Franz und ihren Sohn Herbert. Letzterer hatte Konfirmation gehabt. Natürlich waren wir eingeladen gewesen, aber Eva lag mit einer Grippe und so holten wir den Besuch nach. Herbert, unser Neffe, hatte sich ein Konfirmationsgeschenk gewünscht, eine Taucherarmbanduhr. Nicht gerade billig. Natürlich hat er sie von uns bekommen, wir sind ja nicht so. Nach dem Kaffeetrinken trat eine Pause ein und ich betrat rein zufällig das Kinderzimmer von Herbert. Langweilig und uninteressiert schaute ich mich um, als ich plötzlich glaubte, nicht recht zu sehen. Auf dem kleinen weißen Schreibtisch des Jungen stand ein Briefbeschwerer. Ein Briefbeschwerer in Form eines Frosches aus grasgrünem Glas. Er stand da wie sprungbereit, das Maul etwas geöffnet, mit großen, hervorstehenden Glupschaugen, die die unangenehme Eigenschaft hatten.... Nun das kennen sie schon. Ungläubig nahm ich das Unikum in die Hand, betrachtete es von allen Seiten und sah schließlich auf die Unterseite. Hier befand sich ein kleines ovales Schild aus Goldpapier auf dem geschrieben stand: Ein Präsent für Anspruchsvolle aus der Boutique Stolte, nein da stand Stölte, über dem "o" befanden sich zwei kleine unregelmäßige Punkte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es war mein Briefbeschwerer. Als ich noch ungläubig schauend dastand, das Ding in meiner Hand, erschien Herbert. "Na, Onkel Alfred," fragte er keck, "gefällt er dir, der Briefbeschwerer? Das ist ein Geschenk von Onkel Benno und Tante Elfriede zu meiner Konfirmation. Was sagst du dazu?"

Ich war in ziemlicher Verlegenheit. Was sollte ich antworten. Ich rettete mich damit, dass ich scheinbar bewundernd murmelte: " Interessant, ein wirklich interessantes Stück!" Das ist meine Standardformulierung in Fällen, wo ich meine Meinung nicht gerne so genau sage. Interessant ist schließlich jedes Ding irgendwie. Herbert gab sich damit auch zufrieden. Er warf noch einen missbilligend Blick auf den Frosch und verließ das Zimmer.

Ich war im tiefsten Inneren empört und beleidigt. Was war Benno doch für ein Charakter! Von allem anderen abgesehen ist es eine Unverschämtheit und zeugt von wenig Anstand, das Geschenk eines nahen Verwandten einfach weiter zu verschenken. Ein Geschenk, das man mit viel Mühe ausgesucht hatte. Na, ja, ausgesucht ist hier vielleicht nicht der richtige Ausdruck, aber vom Herzen gerissen hatte man es sich! Nun gut, ich würde es mir merken.
Das einzig Gute daran war, das ich normalerweise das Zimmer von Herbert nicht mehr betreten und das gute Stück nie mehr zu Gesicht bekommen würde.

Die Zeit verging und im Februar des nächsten Jahres hatte ich 10 jähriges Jubiläum in der Firma. Die Kollegen pflegten zu diesem Anlass ein paar Mark zusammenzulegen und ein Geschenk für den Jubilar zu kaufen So auch bei mir, und sie fragten unverblümt, womit sie mir eine Freude machen könnten. Ich erzählte ihnen klipp und klar von einem Briefbeschwerer aus Kristallglas in Würfelform, mit matt eingeschliffene Würfelaugen, der nur in dem einzigen Fachgeschäft für Bürobedarf unseres Ortes zu bekommen sei.

Am Jubiläumstag gab es kurz vor Dienstschluss im Büro einen kleinen Umtrunk, den ich zu spendieren hatte, eine Rede vom Abteilungsleiter und ein Geschenk von allen.

Das sah sehr vielversprechend aus. Ein kleiner quadratischer Karton, schön verpackt und Blumen dazu. Eiligen Schrittes ging ich unserer Wohnung zu. Diesmal hielt mich nichts davon ab, Bänder und Papier zu zerschneiden und den Karton zu öffnen.

Ich weiß, sie ahnen schon was geschah und halten es für unwahrscheinlich. Was denken sie wohl, was ich erst von der ganzen Sache hielt. Aber es war so: aus dem Karton guckte mich ein Frosch mit seinen weißen Glupschaugen an. Hastig nahm ich das Ding heraus und schaute auf die Unterseite. Hier befand sich eine kleines ovales Schild aus Goldpapier, auf dem geschrieben stand ...ich weiß, sie kennen das schon. Ja, und die beiden kleinen unregelmäßigen Punkte über dem "o" waren auch da. Ich atmete ein paar Mal schwer. Es würde wohl ein ewiges Geheimnis bleiben, wie das Monstrum vom Schreibtisch meines Neffen in die Hände meiner Kollegen gekommen war. Aber wie dem auch sei, das Ding war wieder bei mir und glotzte mich, so hatte ich den Eindruck, hinterhältig frech an.

Aber immerhin war es jetzt ein Geschenk meiner Kollegen, zu denen ich ein gutes Verhältnis hatte. Ich beschoss deshalb, 'Es' - so betitelte ich von da ab das Ding, weil 'Kröte' mir für ein Geschenk meiner Kollegen nicht angemessen erschien - diesmal auf dem Schreibtisch stehen zu lassen.

Ich hielt es genau drei Tage aus. Wenn ich auch nur ungefähr in die Richtung von 'Es' schaute, verfolgten mich die glasigen Augen. Es war nicht auszuhalten. Ich zog die unterste Schublade auf der .linken Seite meines Schreibtisches auf und... nun auch das kennen sie schon. Ich war sehr erleichtert.

Es verging wieder eine geraume Zeit und mein Geburtstag jährte sich wieder einmal. Aber seltsam, Tante Hedwig erschien diesmal nicht zu ihrem Informationsbesuch. Ich war darüber nicht böse. Wenn meine Wünsche so wenig Beachtung bei ihr fanden wie im vorigen Jahr, konnte sie es auch gleich lassen, sich zu erkundigen.

Am Geburtstagsmorgen gab es dann eine Riesen Überraschung. Eva hatte alles schön hergerichtet, schon zum Frühstück. Über meinem Frühstücksteller lag ein Tuch, unter dem sich etwas verbarg. Nach dem allerherzlichsten Glückwunsch sagte Eva: "Und nun. mein Lieber, das Geschenk, ich habe es erst gar nicht eingepackt. damit du es sofort besehen kannst. Und nun kommt die Denkmalenthüllung." Damit zog sie das kleine Tuch weg und vor mir lag: ein Briefbeschwerer. Was sage ich ein Briefbeschwerer, der Briefbeschwerer aus reinstem Kristallglas, Kantenlänge etwa 10 cm, sauber geschliffenen und mit matt schimmernden Würfelaugen. Ich war sprachlos. Ich hielt Eva lange im Arm. "Ich weiß ja, wie sehr du dir ihn gewünscht hast und wie sehr du enttäuscht warst, als Tante Hedwig im vorigen Jahr mit dem anderen Ding kam." 

Ich konnte mich gar nicht satt sehen an dem hübschen Gefunkel und Geblinke. Als ich den Würfel auf meinen Schreibtisch stellte sah ich, dass es stimmte, er passt genau in die kühl-vornehme Atmosphäre meines Arbeitszimmers.
Am Nachmittag kam Tante Hedwig Sie hatte diesmal gleich zwei Päckchen und einen Blumenstrauß in den Händen. Nach den üblichen Glückwünschen schaute sie mich entschuldigend an und sagte: "Lieber Alfred, ich weiß, dass ich dir im vorigen Jahr keine Freude gemacht habe." Als ich eine abwehrende Handbewegung machte, man ist schließlich höflich erzogen, wehrte sie ab. "Nein, ich habe es schon gemerkt. Und ich hätte eben nicht schenken sollen was mir gefällt, sondern was du dir gewünscht hattest. 

Und so habe ich gedacht, ich mache das im diesem Jahr wieder gut. Ich will dich auch nicht lange auf die Folter spannen. Also in dem größeren Päckchen befindet sich dein begehrter Würfel, und im dem kleinen Päckchen eine dazu passende Kugel aus Kristall, die als Pen-Ständer gedacht ist, als Entschädigung für das misslungene Geschenk. Ich denke, es pass gut zueinander. Ja und dann habe ich gedacht, da dir der Frosch ohnehin nicht gefällt, gibst du ihn mir zurück. 

Weißt du," fuhr sie etwas leiser fort, "in einigen Wochen hat ja Benno Geburtstag. Es ist dir ja bekannt, dass wir wegen Elfriede seit längerem verkracht sind. Wegen einer Bagatelle! Ich finde das inzwischen unserer Familie unwürdig. Deshalb habe ich mir vorgenommen, Benno am Geburtstag zu besuchen und ihm den Briefbeschwerer zu schenken. Wenn ich mich recht erinnere," fuhr sie sinnend fort, hat er doch ein altdeutsches Arbeitszimmer. Und sind die Wände nicht gar grün gestrichen?" fragte sie mich. "Allerdings" konnte ich nur bestätigen. "Na, siehst du," meinte sie zufrieden, " da passt der schöne grüne Briefbeschwerer doch gut hin."

Am Abend saß ich am meinem Schreibtisch. Links ein Briefbeschwerer in Würfelform aus reinstem Kristallglas, mit matt eingeschliffenen Würfelaugen, rechts ein Briefbeschwerer in Würfelform aus reinsten Kristallglas und in der Mitte eine kleine kristallene Kugel mit vielen kleinen Facetten, sorgsam geschliffen in denen sich bunt das Licht brach.
Es gibt doch noch eine ausgleichende Gerechtigkeit, dachte ich. Und leise und zufrieden murmelte ich vor mich hin: "Liebe Tante Hedwig, du bist doch die Beste, " und mit einem ganz klein bisschen Mitleid: "Armer Benno!"

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